Getrennt und doch Geschwister?
- Eine Standortbestimmung nach 500 Jahren -Einführungsreferat zum "Ökumenischen Sofa" in der Pfarrei St. Peter in Herbon am 19. Januar 2017.
Evan. Gesprächspartner: Prof. Scherle
Statement zu Beginn
- Warum getrennt?
- Warum Geschwister?
Getrennt – das ist ein historischer und praktischer Fakt
Anfang des 16. Jahrhunderts bestanden zahlreiche Mißstände in der Kirche. Diarmaid MacCulloch, Kirchenhistoriker in Oxford, beschreibt(1), daß an mehreren Orten im „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ und darüber hinaus es Bemühungen auch von Bischöfen gab, geeignete Reformen zu entwickeln. So z.B. der Bischof von Köln. Solche Orte waren Straßburg, Zürich, Münster, Oldenburg und nicht zuletzt Wittenberg um Martin Luther. In Frankreich stach Calvin hervor, der bald nach Genf fliehen mußte. In den Niederlanden schließen sich zehn protestantische Provinzen zur heutigen Niederlande zusammen und erwehrten sich militärisch den Habsburgern aus den verbleibenden Niederlanden, dem heutigen Belgien.
Schon für Mitte des 15. Jahrhunderts beschreibt MacCulloch Szenarien, wo sich die falschen Leute auf die gut dotierte Pfarr- und andere kirchliche Stellen setzen und der Landesherr nochmal Geld in die Hand nehmen mußte, um eine funktionierende Pastoral zu gewährleisten. Es gab auch keine einheitlichen Standards für die Priesterausbildung, so konnte mancher Priester nicht mal das Vater Unser auswendig.
Martin Luther setze sich zunächst als Theologe mit dem Ablaßhandel auseinander und suchte die wissenschaftliche Auseinandersetzung dazu. Aber Kirche war stark hierarchisch ähnlich dem aristokratisch strukturierten Staat und mit diesem stark verflochten. Uneins in Kirchenfragen zu sein, wurde auch schnell als Bedrohung für die Einheit des Reiches gesehen. Auf der anderen Seite sahen auch die der Reformation zugeneigten Fürsten ihre Chance sich dem Zugriff des Kaisers ein Stück weit zu entziehen.
Aus verschiedenen Motivationen und Möglichkeiten gab es Versuche zwischen Reformern und Hardlinern zu vermitteln. In Frankreich kamen solche Treffen zustande, blieben allerdings ohne Ergebnis. Im Deutschen Reich gab es Gespräche auf den Reichstagen, aber keine Diskussion und kein gemeinsames Ringen um die beste Lösung. Das Augsburger Bekenntnis/ Confessio Augustana war als Positions Papier gedacht für ein Gespräch und Verhandlung innerhalb der kath. Kirche, nicht als Axiomen System einer neuen Kirche.
Doch es eskalierte die Begegnung und es kam zum Protest der Fürsten, die sich die Reformation zu ihrem Anliegen gemacht hatten. So wandelte sich die Confessio Augustana zum Grundlagen Papier der lutheranischen und sogar reformierten Kirchen. Kaiser Karl V. „wollte Ordnung im Reich“ und schickte im Schmalkaldischen Krieg seine Söldner, um die protestantischen Fürsten zu „überzeugen“.
Die Reformatoren auf das Konzil von Trient (1545–1563) einzuladen fand nicht die erforderliche Unterstützung. Nach vielen schmerzhaften Auseinandersetzungen wurde 1555 der Religionsfrieden von Augsburg erreicht mit der seltsamen Formel „cuis regio, eius religio“, sprich der Landesherr bestimmt die Konfession für seine Untertanen. Für die reichsfreien Städte gab es die Möglichkeit der Koexistenz. Ansonsten anpassen oder weichen!
Im Resultat gab es eine kath. Kirchenorganisation wie bisher und daneben de facto mehrere evan. Landeskirchen: lutherische und reformierte. Kein gemeinsamer Gottesdienst und Abendmahl mehr, nicht mal zwischen Lutheraner und Reformierten, oft nicht mal zwischen den Landeskirchen gleichen Bekenntnisses.
1529 führten die Marburger Religionsgespräche zwischen Zwingli und Luther jeweils mit Gefolge nicht zu einem gemeinsamen Verständnis des Abendmahles. Erst 1973 gelang mit der Leuenberger Konkordie eine gemeinsame Formulierung, die in Arnoldshain vorbereitet wurde. „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er läßt uns neu erfahren, daß wir Glieder an seinem Leibe sind. Er stärkt uns zum Dienst an den Menschen. Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, daß der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit.“ LK II.2
Seitdem befinden sich die Landeskirchen in Deutschland und auch in Europa in einem Einigungsprozess nach der Leuenberger Konkordie.
Zwischen evan. und kath. Kirche bestehen immer noch Unterschiede
- keine gemeinsame Tauffeier
- immer noch unterschiedliches Verständnis von Kirche, Amt und Sakramenten
- unterschiedliches Verständnis von Liturgie und konkreter christlicher Lebensführung
- unterschiedlicher Bibelkanon und Unterschiede bei der Annahme auch schwieriger Stellen
Wir sind trotzdem Geschwister
- weil in beiden Kirchen auf den dreifaltigen Gott getauft wird „in den einen Jesus Christus hinein“ (Gal 3,27) und dies bedeutet eine Wesensgemeinschaft, auch wenn wir diese nicht ganz ergründen und erklären können
- es gibt immer noch nur einen Gott und einen Christus, nur eine Bibel und eine Taufe (siehe Credo)
- Kommunion kann nur mit dem einen Christus geschehen und damit auch untereinander
- weil die Augsburger Bekenntnisse
- die Konzilsentscheidungen zur Trinität (CA1) und Christologie (CA3) bestätigten
- die Kirchenlehrer der ersten Jahrhunderte als authentische Schriftausleger anerkennt (CA1)
- die Kernsakramente Taufe (CA9) und Herrenmahl (CA10) erhalten hat
- Grundaussagen zum kirchlichen Amt festhielt (CA5, CA7)
- weil unsere Wurzeln in der Westkirche liegen und uns 1500 Jahre gemeinsame, christliche Glaubensentfaltung und Inkulturation bei den Völkern Westeuropas verbindet
Wir haben uns als Geschwister erwiesen
Wir haben uns gerade in der Zeit des 3. Reichs und seit dem II- Vatikanischen Konzil als Geschwister erwiesen, weil- weil wir im Glaubensvollzug der martyria gegenseitig und miteinander als Christen erlebt haben
- 1946 der ökumenische Arbeitskreis, der sog. „Jäger-Stählin-Kreis“ gegründet wurde, der hochkarätig besetzt war z.B. von kath. Seite Josef Ratzinger und später Karl Lehmann.
- Dieser Arbeitskreis und andere gemeinsame Gremien arbeiteten die historischen Fakten, gerade auch mit ihren Fehldeutungen und Fehlentwicklungen auf.
- Das schon Gemeinsame im Glauben wurde gesichert und in neuer, unvoreingenommener Weise noch mehr davon gehoben.
- Die kath. Konzilien haben seit der Reformation, in großem Maße das II. Vatikanische Konzil die meisten Reformationsanliegen eingelöst.
- Seitdem gibt es deutlich mehr kath. Beschäftigung mit der Schrift und evan. Interesse an der Liturgie.
- Es gibt eine gute ökumenische Praxis auf allen Ebenen und auf vielerlei Weise.
- 1978 wurde mit der gemeinsamen Erklärung „Das Herrenmahl“ von lutherischem Weltbund und kath. Kirche ein Eucharistie Verständnis formuliert, das beide mittragen können und die Bedenken Luthers gegen die Messe aufklären soll.
Zitat: „Die eucharistische Gegenwart hängt mit all diesen Gegebenheiten zusammen und ist zugleich von besonderer Art: „Christus ist auf verschiedene Weise in der gesamten eucharistischen Feier gegenwärtig und wirksam. Er ist derselbe Herr, der durch das verkündigte Wort sein Volk an seinen Tisch lädt, der der Gastgeber an diesem Tisch durch seinen Diener ist und der sich selbst in sakramentaler Weise in Leib und Blut seines Passah-Opfers dargibt.“ L-RK/2 16 - 1980 folgte eine gemeinsame Erklärung anläßlich der 450 Jahr Feier des Augsburger Bekenntnisses Zitat: „Was wir im Augsburgischen Bekenntnis an gemeinsamen Glauben wiedererkannt haben, kann dazu helfen, diesen Glauben auch in unserer Zeit gemeinsam neu zu bekennen. Das ist der Auftrag des erhöhten Herrn an unsere Kirchen, und das sind sie der Welt und den Menschen schuldig. Dies entspricht auch der Intention des Augsburger Bekenntnisses, das damals ja nicht nur kirchliche Einheit wahren, sondern zugleich die Wahrheit des Evangeliums in seiner Zeit und Welt bezeugen wollte.“ Alle unter einem Christus, 27
- und 1983 anläßlich des 500. Geburtstages von Martin Luther.
Zitat: „Es ist uns heute möglich, gemeinsam von Luther zu lernen. »Er mag uns darin gemeinsamer Lehrer sein, dass Gott stets Gott bleiben muss und dass unsere wichtigste menschliche Antwort Vertrauen und die Anbetung Gottes zu bleiben hat.« (Johannes Kardinal Willebrands)“ Martin Luther – Zeuge Jesu Christi, 26
Was sind die verbleibenden Knackpunkte?
- Mit den Lutheranern erarbeitete gemeinsame Dokument, wurden und werden wohl nicht mehr wie erhofft von den Refomierten übernommen.
- Im Zusammenwachsen der EKD zu einer Kirche sind die Reformierten die Feder führenden.
- Der Titel „Kirche der Freiheit“ ist bewußt als Profilierung gegenüber der kath. Kirche gesetzt. Allerdings wird im jüngsten gemeinsamen Dokument „Erinnerung heilen – Jesus Christus bekennen“ das Bekenntnis der kath. Kirche zur Freiheit in den Erklärungen des II. Vatikanischen Konzils gewürdigt.
- „Wie verhalten sich Freiheit und Autorität in der Kirche zueinander? Die Kirche, in der die »herrliche Freiheit der Kinder Gottes« (Röm 8,21) zur Erfahrung kommen will, bedarf der Leitung durch dazu berufenen Menschen. Leitung setzt aber Autorität voraus – einerseits definierte Entscheidungsbefugnisse, andererseits Akzeptanz und Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen. Ind en evangelischen Kirchen ist das – jedenfalls im Prinzip – nicht anders als in der römisch-katholischen Kirche. Gleichwohl gehen die Kirchen bei der Ausgestaltung kirchlicher Autorität unterschiedliche Wege. Die römisch-katholischen Kirche hat an den episkopalen Strukturen der Kirchenleitung unter Berufung auf die Nachfolge der Apostel festgehalten. In der reformatorischen Tradition haben sich Formen entwickelt, die auf die bewusste Beteiligung aller Getauften an Leitung und Lehrverantwortung der Kirchen ausgerichtet waren und schließlich der Autorität der Synoden den Vorzug gaben.“ (Erinnerungen heilen – Jesus Christus bezeugen, S.50-51)
Kirche und Amt in Lumen Gentium
- „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ LG1
- „Der ewige Vater hat die ganze Welt nach dem völlig freien, verborgenen Ratschluß seiner Weisheit und Güte erschaffen. Er hat auch beschlossen, die Menschen zur Teilhabe an dem göttlichen Leben zu erheben.“ LG2
- „So erscheint die ganze Kirche als »das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk«“ LG4
- „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.“ LG 8
- „Um Gottes Volk zu weiden und immerfort zu mehren, hat Christus der Herr in seiner Kirche verschiedene Dienstämter eingesetzt, die auf das Wohl des ganzen Leibes ausgerichtet sind. Denn die Amtsträger, die mit heiliger Vollmacht ausgestattet sind, stehen im Dienste ihrer Brüder, damit alle, die zum Volke Gottes gehören und sich daher der wahren Würde eines Christen erfreuen, in freier und geordneter Weise sich auf das nämliche Ziel hin ausstrecken und so zum Heile gelangen. [Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt.]“ LG18
Anmerkungen und Fragen
des Mathematikers und Diakons zu den verbleibenden Knackpunkten, wo wir als Geschwister in Christus miteinander reden müssen:- die Wirklichkeitsfrage: nehmen wir die Gegenwart des lebendigen Gottes an auch in unserer modernen Welt und in unserem modernen Denken?
- kann für evan. Christen der Gottesdienst auch Liturgie sein, also wo Gott Menschen real begegnet, als Gemeinschaft umfaßt und unter ihnen in Christus stiftet?
- Können wir alle uns der ganzen Bibel stellen, nicht nur selektiv Teilen zur Erbauung?
„wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht“ Hieronymus - Amt aus Berufung, Amt in apostolischer Sukzession als sakramentales Band in der Geschichte für die authentische Verkündigung.
- Finden einer gemeinsamen Liturgie oder zumindest fester Kernelemente ggf. befreit von höfischen Elementen und historischen Überwüchsen.
Literatur
- Diarmaid MacCulloch, Reformation, Europe‘s House Devided, 1450 – 1700, Penguin Books
Download